An diesem Wochenende sind tausende Menschen auf die Straße gegen Rechts gegangen - Danke. Bei der Demonstration am Sonntag, den 21.01., gegen Rechtsextremismus und für Demokratie auf dem Stuttgarter Marktplatz von der jüdischen Studierendenunion habe ich gesprochen. Das Redemanuskript können Sie hier nachlesen:
Guten Tag, Stuttgart!
Vielen Dank, dass Sie alle heute kommen sind. Dass Ihr alle heute gekommen seid!
Dass wir in so großer Zahl in dieser Stadt ein sichtbares, klares, ein lautes Zeichen setzen für Demokratie, Freiheit, Vielfalt. Dass wir ein Zeichen setzen gegen Rechts.
Dass wir diese Demokratie und Freiheit solidarisch verteidigen
gegen Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus,
gegen totalitäre Fantasien,
gegen menschenverachtende Planspiele,
gegen die rechtsextremen Kräfte mit ihren Umsturzfantasien in diesem Land.
Wir sind hier am Welttag der Geflüchteten zusammengekommen - ein breites Bündnis aus Vereinen, Parteien, Initiativen, Verbänden, die sich zusammengeschlossen haben und solidarisch zusammenstehen. Das ist großartig.
Herzlichen Dank auch dafür!
Denn eine Antwort gegen rechts liegt genau hier: in dem unglaublich großen Kreis der Menschen, die sich für unser Miteinander engagieren. Nicht erst jetzt, sondern seit Jahren, Jahrzehnten.
Genau das zeichnet unsere offene Gesellschaft aus und genau in diese Stärke, in diese Fähigkeit des Miteinanders, wollen die rechten Kräfte ihren Keil der Menschenverachtung hineintreiben.
Aber das lassen wir nicht zu, liebe Freundinnen und Freunde.
Darum noch mal: Vielen Dank an alle, die heute hier sind, und an die Zigtausend gestern hier in Stuttgart und an die Hunderttausende in ganz Deutschland.
Was für ein Zeichen. Das macht Mut!
Liebe Freundinnen und Freunde –
Natürlich ist es nicht so, dass wir alle, die wir hier stehen – und da spreche ich auch über die Politik – in den vergangenen Jahren nur richtige Entscheidungen getroffen haben. Dass wir all den Krisen und Herausforderung ohne schwierige Debatten und schmerzhafte Schritte begegnet wären. Aber wir wissen, dass wir darum ringen, dass wir selbstkritisch darüber sprechen müssen. Wir wissen, dass wir die Verunsicherung in einigen Teilen der Gesellschaft ernst nehmen und uns öfter an die eigene Nase fassen müssen. Das ist auch ein Zeichen für die Stärke und die hart erkämpften Errungenschaften unserer Demokratie.
Und wer meint, von rechts kämen die einfachen Lösungen für die Zukunft, der irrt.
Wer meint, ein bisschen Protestwählen könnte nichts schaden in dieser Zeit, der irrt.
Denn Nationalismen und Rassismus wollen Abgrenzung. Spaltung ist das politische Instrument der Rechten. Da sie davon leben, vermeintliche Feindbilder zu schaffen, bieten sie nicht die richtigen Lösungen, sondern falsche. Es geht ihnen nicht um ein positives Weltbild, es geht ihnen nicht um ein gutes Zusammenleben in Gegenwart und Zukunft, es geht Ihnen nicht darum, die Nöte der Menschen ernst zu nehmen, sondern um Machtgewinn und Zerstörung grundlegender menschlicher Werte. In ihrer Ideologie spiegelt sich immer wieder die Ideologie des Nationalsozialismus.
Als Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst leite ich das „Zukunftsministerium“ der Landesregierung. In unseren Institutionen, Hochschulen und Einrichtungen wird jetzt mit voller Kraft und erfolgreich an den Fragen unserer Zeit und den Lösungen für die Zukunft gearbeitet – auf allen Feldern von Menschen aller Altersgruppen aus allen Ländern und Kulturen dieser Welt.
Würde man die Ideen, die bestimmte Kreise der extrem Rechten in Potsdam beraten haben, umsetzen und Menschen aufgrund ihrer Migrationsgeschichte des Landes verweisen, könnte man all diese Einrichtungen sofort schließen. Und das gilt auch für die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, den Einzelhandel und Gaststätten, für Sportvereine und Kulturverbände, für die Grundversorgung in diesem Land.
Und ich sage Ihnen und Euch, ich weiß ziemlich genau, was in meinem Verantwortungsbereich sonst noch passiert, wenn die AFD an die Macht kommt. Ich weiß es, weil ich die Anträge kenne, die sie im Landtag stellen, weil ich die Fragen höre, die sie im Ausschuss stellen. Alles, was Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur heute ausmacht – ihre Unabhängigkeit, ihre Autonomie, ihre Kreativität, ihre Vielfalt – wird als erstes beschnitten werden, weil darin viel zu viel Freiheit steckt, viel zu viel Lösungsorientiertheit, viel zu viel selbst bestimmte Zukunft – viel zu viel Kraft.
Und wer mit der Beschneidung von Wissenschaft und Kunst anfängt, das wissen wir aus der Geschichte, der hört da nicht auf: Weniger Freiheit für die Wissenschaft heißt in der Folge weniger Meinungsfreiheit, weniger Pressefreiheit, weniger Versammlungsfreiheit, weniger Menschenrechte.
Und deshalb müssen wir dieser Abwertung, diesem Zynismus, dieser Unmenschlichkeit unser Wissen um die Bedeutung von Freiheit entgegenstellen -
mit breiten Bündnissen, die von allen Menschen, die hier leben und hierhergekommen sind, geprägt werden und die alle Menschen, die hier leben einschließt, solange sie die Regeln eben dieser offenen Gesellschaft mittragen.
Diese Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie muss jetzt zeigen, wie wehrhaft sie ist. Wir müssen zeigen, ob wir für eine Gesellschaft des Miteinanders Position beziehen oder eine wollen, die getarnt mit neuen Namen, für Vertreibung und Deportation steht, für völkisches Denken und für Rassegedanken.
Demokratie heißt eben auch: Jede und jeder hat eine Stimme, das zu entscheiden. Wer jetzt in der Wahlurne eine falsche Entscheidung fällt, soll nachher nicht sagen: Er habe es nicht gewusst; er habe es nicht wissen können.
Denn: Wir wissen es. Wir kennen die Bedrohung.
Auch, dass es kein kurzes Zeitphänomen ist, sondern dass dahinter jahrzehntelange Aufbauarbeit in der rechtsextremen Szene steckt. Die AfD gilt in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem. Das ist kein Kavaliersdelikt. Sie – das wird niemand mehr bezweifeln – gefährdet die Grundlagen unserer Demokratie. Deswegen müssen wir sie auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen bekämpfen.
Aber das wird in Zeiten, in denen das gute Argument nicht alle Menschen erreicht, vielleicht nicht reichen. Wir haben daher auch die Pflicht, die Instrumente zu nutzen, um unsere Verfassung zu schützen. Ich frage mich daher ernsthaft, ob es nicht an der Zeit ist, dem Bundesverfassungsgericht ein Verbot der AfD zur Entscheidung vorzulegen?
Liebe Freundinnen und Freunde –
Am kommenden Samstag jährt sich die Befreiung von Auschwitz.
Es hat keinen Sinn, “Nie wieder” und “Niemals vergessen” zu rufen, wenn man dabei nicht die Gegenwart im Auge hat. Vergangenheit vergeht nicht einfach. Sie ist da. Überall präsent. Vor unserer Haustür.
Darum geht es jetzt. Das nicht zu vergessen und zu handeln. Heute.
Demokratie, Vielfalt, Freiheit verteidigen. Jeden Tag. Überall. Und diesen Satz ernst zu nehmen: Nie wieder ist jetzt.
Vielen Dank!
Petra Olschowski / 21.1.2024 / Es gilt das gesprochene Wort.